Hat der Erblasser vor seinem Tod Vermögenswerte verschenkt, können sich daraus Pflichtteilsergänzungsansprüche des Pflichtteilsberechtigten ergeben (§§ 2325 ff. BGB). Die Schenkungen dürfen jedoch nicht länger als zehn Jahre zurückliegen. Schenkungen an Ehegatten werden jedoch ohne zeitliche Begrenzung für die Pflichtteilsergänzung berücksichtigt.
Die Zehnjahresfrist gilt auch nicht für Zuwendungen unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts, im Einzelfall auch eines Wohnrechts.
Das Gesetz sieht vor, dass Schenkungen weiterhin als Teil des Nachlasses behandelt werden und der Pflichtteilsberechtigte eine Ergänzung seines Pflichtteils bis zur Höhe seiner Quote verlangen kann. Bei lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers ist der Pflichtteilsberechtigte also nicht nur auf den sogenannten ordentlichen Pflichtteil aus dem vorhandenen Nachlass beschränkt.
Während in der Vergangenheit Schenkungen stets mit ihrem vollen Wert berücksichtigt wurden, sieht die am 01.01.2010 in Kraft getretene Pflichtteilsreform nunmehr eine gleitende „Pro-rata-Lösung“ vor: Die Schenkung ist nur noch im ersten Jahr vor dem Erbfall zu 100 Prozent zu berücksichtigen. Für jedes weitere Jahr vor dem Erbfall reduziert sich der Wertansatz um 1/10. Für Erbfälle vor dem 01.01.2010 gilt noch die alte Regelung. Bei Schenkungen unter Nutzungsvorbehalt (Nießbrauch/Wohnrecht) kommt die „Pro-rata-Lösung“ nicht zur Anwendung. Sie gilt auch weiterhin nicht für Schenkungen unter Ehegatten. Voraussetzung ist also immer, dass die Frist zu laufen beginnt.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch in 1. Linie muss vom Erben erfüllt werden. Nur wenn im Nachlass kein ausreichendes Vermögen vorhanden ist, haftet auch der Beschenkte, soweit der Nachlass nicht ausreicht. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. Sowohl der Pflichtteilsanspruch als auch der Pflichtteilsergänzungsanspruch verjähren in 3 Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von dem Anspruch Kenntnis erlangt hat. Etwas anderes gilt, wenn sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten richtet. Dieser Anspruch verjährt innerhalb von 3 Jahren ab dem Todestag (§ 2332 Abs. 1 BGB).
Beispiel:
Der Erblasser ist Eigentümer einer Immobilie im Wert von 600.000 Euro. Er hat sonst kein nennenswertes Vermögen. Kurz vor seinem Tod verschenkt er die Immobilie an einen seiner beiden Söhne. Der andere Sohn hat aufgrund dieser Schenkung einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Da sich im Nachlass kein nennenswertes Vermögen befindet, richtet sich der Anspruch gegen den Beschenkten, also gegen den Bruder. Soweit der Anspruch gegen den Bruder geltend gemacht wird, ist zu beachten, dass die Verjährungsfrist hier 3 Jahre ab dem Todestag beträgt.