Überträgt ein Gesellschafter seinen GmbH-Anteil unter Nießbrauchsvorbehalt auf seine Kinder, erzielt der neue Anteilseigner fortan Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG.
Denn Anteilseigner ist nach § 20 Abs. 5 Satz 2 EStG derjenige, dem die Anteile im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses nach § 39 AO zuzurechnen sind.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem Nießbrauchsberechtigten lediglich ein Anspruch auf den mit der Beteiligung verbundenen Gewinnanteil zusteht, ohne dass er wesentliche Verwaltungsrechte, insbesondere Stimmrechte, ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann (BFH 14.2.22, VIII R 29/18, BStBl II 22, 544).
Wie verhält es sich aber, wenn ein solcher Vorbehaltsnießbrauch später vom Anteilseigner entgeltlich abgelöst wird? Mit dieser Problematik hat sich aktuell das Finanzgericht Köln beschäftigt (29.2.24, 7 K 95/23, Rev. BFH IX R 14/24).
1. Sachverhalt
Im Streitfall hatte die Gesellschafterin einer GmbH ihre Geschäftsanteile unter Vorbehalt des lebenslänglichen Nießbrauchs auf ihre beiden Töchter übertragen.
Obwohl die oben dargestellten Voraussetzungen für eine Besteuerung der Kapitalerträge bei der Nießbraucherin mangels Verfügungsmacht nicht vorlagen, erfasste das Finanzamt die Kapitalerträge bei der Nießbraucherin und nicht bei den neuen Gesellschafterinnen.
Da die Anteilseignerinnen später beabsichtigten, ihre Anteile lastenfrei zu veräußern, lösten sie das zugunsten der Mutter bestehende Nießbrauchsrecht gegen Zahlung von Ablösebeträgen ab. Das FA erfasste die Ablösebeträge bei der Nießbraucherin als Einkünfte gemäß § 24 Nr. 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
2. Entscheidung des Finanzgerichts
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht der Klage der Steuerpflichtigen statt und entschied, dass die Ablösesummen keinem Einkünftetatbestand unterliegen.
2.1. Keine Einkünfte i. S. d. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG i. V. m. § 20 Abs. 1 EStG
Nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden.
Eine Gegenleistung für den Verzicht auf einen Vorbehaltsnießbrauch an einer Kapitalbeteiligung ist nach der Rechtsprechung des BFH jedoch keine Entschädigung für entgehende Einnahmen i.S.d. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG (BFH 25.11.92, X R 34/89, BStBl II 96, 663).
24 EStG setzt das Vorhandensein einer Einkunftsquelle voraus.
Darüber hinaus liegt eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nur dann vor, wenn die Zahlung im Zusammenhang mit steuerpflichtigen Einkünften steht.
Denn § 24 EStG begründet keine Einkunftsquelle, sondern setzt das Vorhandensein einer Einkunftsquelle voraus.
Dies war im Streitfall jedoch nicht der Fall, da die Dividendenansprüche, an denen ein Nießbrauch zugunsten der Mutter bestand, für diese keine Einkunftsquelle darstellten.
Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das Finanzamt die Einkünfte zu Unrecht bei der Nießbraucherin und nicht bei den Anteilseignern erfasst habe.
2.2. Keine Einkünfte i. S. d. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG
Zu den Einkünften i. S. d. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG gehören Entschädigungen, die für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche gewährt werden. Als Gewinnbeteiligung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG kommen jedoch nur gesellschaftsrechtliche Beteiligungen in Betracht (BFH 10.10.01, XI R 50/99, BStBl II 02, 347). Diese Voraussetzung ist bei einem Nießbrauch an einem Kapitalgesellschaftsanteil, der sich letztlich auf die Auszahlung der Dividendenansprüche beschränkt, nicht erfüllt.
2.3. Keine Einkünfte nach § 17 EStG
Die Übertragung einer wesentlichen Beteiligung i.S.d. § 17 EStG unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ist als unentgeltliche Vermögensübertragung keine Veräußerung i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG (BFH 14.5.05, VIII R 14/04, BStBl II 06, 15). Ebenso liegt keine Anteilsveräußerung vor, wenn das Nießbrauchsrecht später abgelöst wird und der Nießbraucher für seinen Verzicht eine Abfindung erhält, sofern der Verzicht auf einer Änderung der Verhältnisse beruht.
Im Streitfall ist durch die Ablösung des Nießbrauchs auch kein auf die Anteilsübertragung rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO eingetreten. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Ablösung des Nießbrauchsrechts der zweite Schritt eines von vornherein geplanten Veräußerungsgeschäfts war und der Rechtsgrund für die später geleisteten Zahlungen bereits in diesem Rechtsgeschäft angelegt war.
Ein solcher Zusammenhang war im Streitfall jedoch nicht erkennbar.
2.4. Keine Einkünfte i. S. d. § 22 Nr. 2 EStG i. V. m. 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG
Die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchsrechts oder der entgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht führt nicht zu steuerbaren Einkünften im Sinne des § 23 EStG. Solche veräußerungsähnlichen Vorgänge, bei denen es an dem für eine Veräußerung erforderlichen Rechtsträgerwechsel fehlt, werden von § 23 EStG nicht erfasst. Denn bei der Ablösung eines Nießbrauchs fehlt es an dem für die Besteuerung nach § 23 EStG erforderlichen Rechtsträgerwechsel (so aktuell auch FG Münster 12.12.23, 6 K 2489/22 E).
2.5. Keine Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG
Unter § 22 Nr. 3 EStG fällt jedes Tun, Unterlassen oder Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und um des Entgelts willen vorgenommen wird. Ausgenommen sind jedoch Veräußerungsvorgänge und veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich, bei denen ein Entgelt dafür gezahlt wird, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird. Der Vertrag über den Verzicht auf ein Nutzungsrecht begründet kein nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbares Nutzungsverhältnis, da dieser Rechtsvorgang als veräußerungsähnlicher Vorgang dem Normalbild einer (entgeltlichen) Vermögensumschichtung entspricht.
3. Praxisrelevanz
Das Finanzgericht hat die Revision zugelassen, die auch vom Finanzamt eingelegt wurde und beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen IX R 14/24 anhängig ist. Betroffene Steuerpflichtige sollten daher entsprechende Steuerbescheide im Einspruchsverfahren offen halten und auf die gesetzliche Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 1 EStG hinweisen.
Die nunmehr vom BFH zu entscheidende Rechtsfrage ist – soweit ersichtlich – bislang noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen. Im Rahmen der Zulassung der Revision hat das Finanzgericht auf zwei Entscheidungen hingewiesen, die für den Streitfall und damit für das Revisionsverfahren von Bedeutung sein werden:
– Diese beiden Verfahren werden für die Entscheidung des BFH von Bedeutung sein. Der Bundesfinanzhof hat in seiner Entscheidung vom 18.11.14 (IX R 49/13, BStBl II 15, 224) offen gelassen, ob die Ablösezahlung beim Nießbraucher als Entschädigung für entgangene Dividendenansprüche nach § 24 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 20 Abs. 2a Satz 3 EStG oder nach § 24 Nr. 2, § 17 Abs. 2 EStG steuerbar ist.
– Darüber hinaus ist beim Bundesfinanzhof unter dem Az. IX R 4/24 ein Revisionsverfahren gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 12.12.23 (6 K 2489/22 E) zu der Frage anhängig, ob die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchsrechts oder der entgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht zu steuerbaren Einkünften i.S.d. § 23 EStG führt, was das Finanzgericht mangels Rechtsträgerwechsels verneint hat.
Fazit
Die Zurechnung der Einkünfte beim Nießbraucher erfolgt nur dann, wenn dieser – z.B. durch Übertragung von Mitverwaltungsrechten, insbesondere von Stimmrechten, oder durch Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht – eine Rechtsposition innehat, die ihm maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft verschafft und ihn insoweit einem zivilrechtlichen Gesellschafter gleichstellt (BFH 18.11.14, IX R 49/13, BStBl II 15, 224).
Sowohl die oben genannte BFH-Entscheidung vom 18.11.14, das anhängige Revisionsverfahren gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Münster (IX R 4/24) als auch das nun anhängig gewordene Revisionsverfahren IX R 14/24 gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Köln betreffen allesamt den IX. Senat des Bundesfinanzhofs, dessen Entscheidung nun mit Spannung erwartet werden darf.
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